Träges Luzern
Zwischennutzungen vermeiden Leerstand und stellen oft günstig Wohn- und Arbeitsräume zur Verfügung. Dennoch sind die Vorbehalte bei Eigentümer:innen und Behörden gross. Woran liegt das? Ein Blick nach Basel, Zürich und Luzern.
Text: Mario Stübi
Sie ist vergleichsweise jung, die Zwischennutzung auf dem Bell-Areal in Kriens. Seit rund einem Jahr gehen hier 85 Menschen ihrer Arbeit oder Freizeitbeschäftigung nach. Das Areal gehört Logis Suisse und soll in vier Jahren mit gemeinnützigen Wohnungen überbaut werden. Bis dahin kümmert sich Francesca Blachnik darum, dass die Räume nicht einfach belegt, sondern belebt sind. «Aus der Perspektive der Nutzer:innen sind Zwischennutzungen einfach günstige Räume, in denen sie für wenig Geld relativ viel Fläche bekommen – ein Lern- und Experimentierfeld, das wahnsinnig heterogen und bereichernd sein kann», sagt sie. Vor allem werde dadurch Leerstand vermieden.
Francesca Blachnik bildet gemeinsam mit Dominik Unternährer die Co-Geschäftsleitung bei Temporär, einer Fach- und Anlaufstelle für Zwischennutzungen in der Zentralschweiz. Die Organisation berät Eigentümer:innen von Liegenschaften, wie sie bei Leerstand oder geringer Belegung eine Zwischennutzung ermöglichen können. Eigentümer:innen suchen die Fachstelle auf, Blachnik und Unternährer gehen aber auch von sich aus auf die Besitzer:innen potenzieller Objekte zu. «Für viele ist das immer noch neu. Wir müssen erklären, was Zwischennutzungen überhaupt sind und welchen Mehrwert sie haben», sagt Blachnik. Vor allem bei Behörden müsse noch stark vermittelt werden.
Zwischennutzung gleich Chaos?
In der Schweiz gibt es zahlreiche Organisationen, die Zwischennutzungen fördern. Ein Beispiel dafür ist Unterdessen in Basel, die Temporär bei der Zwischennutzung auf dem Bell-Areal unterstützt. Die Organisation wurde vor rund zehn Jahren gegründet. «Basel hatte damals ein Problem mit Leerstand bei städtischen Liegenschaften, was von lokalen Politiker:innen kritisiert wurde», sagt Pan Stoll, Geschäftsführer bei Unterdessen. «Also sind wir mit einem Konzept auf die Stadt zugegangen und konnten zwei Pilotprojekte durchführen.»
Die Vorbehalte, mit denen Francesca Blachnik in ihrem beruflichen Alltag konfrontiert wird, spürt auch Stoll. «Es gibt viele private Eigentümer:innen, die gegenüber Zwischennutzungen sehr skeptisch sind. Wir versuchen zu vermitteln, dass sie nicht Chaos bedeuten.» Stoll weiss, dass diese Vorbehalte vor allem mit der Angst zu tun haben, dass geplante Bauprojekte nicht fristgerecht realisiert werden können. In Luzern sieht er Potenzial: «Ich nehme die Region als etwas träge wahr, vor allem, was die Stadt Luzern angeht.» Das Know-how hänge oft an einzelnen Personen in der Verwaltung, aber institutionalisiert sei es nicht. «Organisationen wie Temporär oder Unterdessen können mit ihrer Expertise die Eigentümer:innen entlasten», so Stoll.
Hohe Renditen und bloss keine Besetzungen
Zwischennutzungen lassen sich auch weniger ideell, ja rein kommerziell betreiben; die Branchenführer heissen Intermezzo und Projekt Interim. Letztere sind auch in der Zentralschweiz aktiv: in Luzern aktuell am Löwengraben, an der Büttenenhalde und an der Gerliswilstrasse in Emmenbrücke.
Die Motivation dieser Unternehmen ist eine eigentumsgesteuerte: kein Renditeverlust und bloss keine Besetzungen in den Monaten zwischen Leerkündigung und Abriss oder Umbau. Francesca Blachnik hat eine klare Haltung dazu: «Wir möchten verhindern, dass es in Luzern darauf hinausläuft, dass jedes leere Gebäude mitten in der Stadt von einer Zwischennutzungsfirma übernommen und renditeorientiert zwischenvermietet wird.»
Nur drei weitere Jahre für das Neubad
Ein Vorzeigeprojekt ist das Neubad in Luzern, eine «extrovertierte» Zwischennutzung. Gemeint ist damit ein Ort, der einen starken Öffentlichkeitscharakter hat und das Umfeld, beispielsweise die Bewohner:innen des Quartiers, aktiv teilhaben lässt. Ein Beispiel dafür: Das Neubad hat die IG Kulturachse mitgegründet, die sich für eine Aufwertung beider Seiten des Freigleises engagiert. Anfang April haben dazu über 40 Personen im Rahmen eines Workshops im ehemaligen Hallenbad ihre Ideen eingebracht.
Obwohl das Neubad im September schon sein zehnjähriges Jubiläum feiert, versteht es sich nach wie vor als Zwischennutzung, wie es im März in einem Brief an seine Mitglieder schrieb. Das hängt nicht zuletzt mit der Verlängerung des Vertrags mit der Stadt Luzern zusammen: Eine «zufriedenstellende Vereinbarung» sei nicht getroffen worden, es bestehe aber «eine Absichtserklärung des Stadtrats für eine Verlängerung der bestehenden Verträge auf drei weitere Jahre», wie es im Brief hiess. Was das Neubad allerdings brauche, sei Sicherheit bei der Planung: gegenüber den rund 60 Mitarbeiter:innen, den Nutzer:innen und externen Partner:innen.
Modelle wie das Neubad lassen sich aktiv fördern. In Basel gibt es dazu eine städtische Anlaufstelle. In Zürich hat sich die Raumbörse etabliert, die den Auftrag hat, jungen Menschen Räume zur Verfügung zu stellen. Auch für die Region Luzern existierte ab 2014 auf privater Basis und in Form einer Website eine Raumbörse. Diese ist jedoch seit Monaten offline.
Wirken ohne ökonomischen Druck
Sabeth Tödtli ist Teil der Zürcher Urban Equipe, eines Vereins, der sich für eine Demokratisierung der Stadtentwicklung und -gestaltung einsetzt. «Wir sprechen von Zwischennutzungen, aber die meisten Zwischennutzer:innen würden sich selbst nicht so nennen. Sie sehen sich einfach als Nutzer:innen.» In Luzern hat die Urban Equipe die Vergabe der Zwischennutzung auf dem Inseli begleitet, die im Juli starten soll. «Zwischennutzungen bringen für die Menschen, die dort wohnen und arbeiten, in erster Linie günstigen Raum», sagt Tödtli. Das könne viel wert sein, wenn man unter weniger finanziellem Druck arbeiten möchte oder in gemeinnützigen oder sozialen Projekten tätig ist. «Ich würde allerdings nicht für Zwischennutzungen als Selbstzweck plädieren. Menschen, die auf Zwischennutzungen angewiesen sind, sollten auch unbefristete Räume finden können.»
Wichtig seien Zwischennutzungen auch bei öffentlichen oder halböffentlichen Räumen, in denen keine Einnahmen generiert werden. Allerdings spielen für jene, die diese zur Verfügung stellen, andere Aspekte eine Rolle. «Es geht oft um die Verhinderung von Besetzungen oder um Rendite bis zum letzten Tag vor dem Abriss.» Damit spricht Tödtli das Problem kommerzieller Zwischennutzungsfirmen an. Gerade in Zürich hat deren Betriebsmodell jüngst einen Dämpfer erlitten. Untermieter:innen sind juristisch gegen die Verträge der Firma Intermezzo vorgegangen, indem sie den anfänglichen Mietzins angefochten haben. Wie der Journalist Lukas Tobler im März in der WOZ schrieb, konnte die Zwischennutzungsfirma zwar einen Präzedenzfall abwenden, es bleibe aber die Frage, ob solche Unternehmen überhaupt Profit aus einer Liegenschaft schlagen dürfen, die ihnen nicht gehört. Temporär, Unterdessen und Urban Equipe haben darauf eine einfache Antwort: «Wir versprechen den Eigentümer:innen keinen Profit, höchstens die Deckung von Kosten, die ohnehin anfallen», meint Pan Stoll stellvertretend.
Dieser Artikel ist in der Maiausgabe 2023 von 041 – Das Kulturmagazin erschienen.